GZ-Bericht über Lena Urbaniak – 21.02.2018

Selbstzweifel haben keine Siegchance
Leichtathletik Leistungssport kostet Kraft und gibt Kraft – je nachdem wie erfolgreich man ist. Kugelstoßerin Lena Urbaniak aus Böhmenkirch greift nach abgeschlossenem Studium wieder an. Von Thomas Friedrich

Die vergangenen vier Monate gingen an die Substanz. Lena Urbaniak hat ihr Studium abgeschlossen und nebenbei noch ihr Trainingsprogramm geschultert. Jeder Tag war „gut durchgetaktet“, die 25-Jährige trainierte vormittags von 8 bis 11, nach dem Mittagessen schrieb sie von halb eins bis fünf an ihrer Bachelorarbeit, ab halb sechs ging’s wieder zum Training.

Das Schlimmste hat sie überstanden, am Montag voriger Woche legte Urbaniak ihre Bachelorarbeit vor und wartet jetzt nur noch auf die Note. Mit dem Bachelor in Internationales Management in der Tasche gilt die Konzentration fortan wieder der sportlichen Karriere. Im August steht die Europameisterschaft in Berlin an, für die Olympiateilnehmerin von Rio 2016 ein „mehr als lohnendes Ziel“. Dafür muss der Beruf noch ein wenig warten, als Angehörige der Bundeswehr kann sie sich das leisten. Bis August steht das Kugelstoßen im Vordergrund, erst Ende des Jahres will sie entscheiden, wie es beruflich weitergeht.

Immer von Olympia geträumt

Die EM im eigenen Land hat Priorität, die Teilnahme an internationalen Meisterschaften war schon immer die Triebfeder für Urbaniaks sportliche Höchstleistungen. Als sie sich mit 14 Jahren aufs Kugelstoßen spezialisierte, hat sie schon „davon geträumt, an großen Meisterschaften und Olympischen Spielen teilzunehmen“. Was einst ganz weit weg war, rückte immer näher. Je besser es in der Jugend mit dem Kugelstoßen geklappt hat, „desto realer wurde der Traum“, sagt die Böhmenkircherin.

Mittlerweile hat sie sich alle Träume erfüllt, war bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie vor zwei Jahren bei Olympia. Aufwachen macht noch keinen Spaß, Lena Urbaniak träumt immer weiter. Jetzt eben von der EM in Berlin. Dafür lohnen sich die Entbehrungen, die sie vor allem in den vergangenen vier Monaten auf sich genommen hat. Für den Leistungssport, das hat sie längst akzeptiert, müsse man eben auf gewisse Dinge verzichten. Ohne Bedauern. Weil ihr der „Sport so wahnsinnig viel zurückgibt“, dass die Rechnung am Ende aufgeht.

Lena Urbaniak im Ring. Als Kugelstoßerin hat sie schon viel erreicht, aber immer noch Träume. Die jeweils nächste internationale Meisterschaft ist ihr großer Antrieb.⇥Foto: Ralf Görlitz

Mit einem klaren Ziel vor Augen – für Lena Urbaniak ist das stets die nächste internationale Meisterschaft – „quält man sich auch durch lästige Trainingseinheiten“, sagt sie. Leistungssport geht manchmal an die Substanz, Erfolge bringen den Kräftehaushalt wieder ins Gleichgewicht. „Sport ist wunderschön – wenn man gewinnt“, sagt die 25-Jährige. In den schönen Momenten gibt der Sport ihr viel Kraft, in den weniger erfolgreichen kostet er welche.

Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, die Urbaniak sich selbst attestiert, helfen auf dem Weg zum Ruhm. Zudem profitiert sie nicht erst beim Hangeln zwischen Bachelorarbeit und Training, von ihrem „guten Zeitmanagement“. Schon in der Schule verstand sie es, sich „die Zeit richtig einzuteilen“. Als größtes Pfund nennt sie ihre mentale Stärke. Die meiste Zeit ihrer Karriere hat sie es verstanden, in entscheidenden Wettkämpfen ihre Topleistung zu bringen. Sie schied ganz selten in einer Qualifikation aus.

Nur 2016 verfehlte sie erst bei Olympia in Rio und danach bei der EM in Amsterdam das Finale der besten Zwölf. Und auch da macht sie nicht die Psyche verantwortlich, sie schiebt es auf die vielen Krankheiten und Verletzungen, die dem Saisonhöhepunkt in jenem Jahr vorausgingen. Es waren „zu viele Kleinigkeiten“, mit denen sich ihr Körper „herumschlagen musste“.

Man muss abgebrüht sein

Versagensängste plagen sie nicht. Um auf den Punkt Höchstleistungen zu bringen, muss man von Natur aus „abgebrüht sein“, man könne sich psychische Stärke auch antrainieren. Urbaniak überlässt nichts dem Zufall und arbeitet mit einer Sportpsychologin zusammen Gemeinsam legen sie sich „gewisse Strategien zurecht“, die der Athletin durch den Wettkampf helfen sollen.

Trotz der Enttäuschung von Rio und Amsterdam hat Lena Urbaniak nie einen ernsthaften Gedanken ans Aufhören verschwendet. Auch bei ihr, räumt sie ein, gebe es Phasen, „in denen man alles hinterfragt“. Vor allem, „ob es den Aufwand wert“ ist und man nicht lieber etwas anderes machen solle. Diese Anwandlungen verschwinden schnell wieder. So schnell wie bei ihren Mitmenschen. „Solche Gedanken macht man sich doch auch in jedem Bürojob mal, oder?“, fragt sie. Die Starken lassen dem (Selbst)Zweifel keine Siegchance.